Das «neue» Bewusstsein. Was ist das?

«Der Mensch ist ein Teil des Ganzen. … Er erlebt sich selbst, wie auch seine Gedanken und Gefühle, als etwas vom Rest Getrenntes – eine Art optische Täuschung seines Bewusstseins.»
Albert Einstein

Vertreterinnen und Vertreter der Integralen Politik benützen immer wieder den Ausdruck:
«Wir wollen ein neues Bewusstsein in die Gesellschaft und in die Politik bringen.» Viele der Zuhörenden fragen sich, was die IP wohl unter einem «neuen» Bewusstsein versteht.

Wenn es ein neues Bewusstsein gibt, dann muss es sich von einem alten oder jetzt gegenwärtigen Bewusstsein unterscheiden. Und was heisst denn überhaupt Bewusstsein? Bewusstsein ist die Fähigkeit von uns Menschen, Dinge und Ereignisse und Gefühle und Gedanken und Stimmungen und vieles mehr wahrzunehmen. Dabei weiss es, dass es Dinge und Ereignisse und Gefühle und vieles mehr wahrnimmt, sich also seiner selbst bewusst ist. Es bedient sich dabei aller äusseren und inneren Sinne.

Das Alltagsbewusstsein der Getrenntheit.

Mein gegenwärtiges Bewusstsein nimmt z.B. wahr, dass mein Körper auf einem Stuhl sitzt und meine Hände auf einem Keyboard ruhen. Mein Verstand teilt dann diese Wahrnehmung auf in: Ich nehme wahr, dass mein Körper auf einem Stuhl sitzt und meine Hände auf einem Keyboard ruhen. Der Verstand trennt also die Wahrnehmung in ein wahrnehmendes Subjekt und in wahrgenommene Objekte. Das Alltagsbewusstsein ist charakterisiert durch das Wahrnehmen von Dingen, die vom Wahrnehmenden getrennt sind. Wir nennen es deswegen dual. Das Ich als Subjekt fühlt sich zwar im Zentrum der Welt, aber es ist verletzlich, unsicher, voller Angst und Zweifel. Die Welt scheint ihm so bedrohlich, dass es auf die sekundenschnelle Beurteilung der augenblicklichen Situation durch die emotionale Intelligenz und durch den Verstand angewiesen ist. Ohne dieses sinnvolle Warnsystem würde das Ich wohl nicht lange überleben. Das Weltbild der Getrenntheit ist folglich geprägt durch Ängstlichkeit, Unsicherheit, Zwietracht und Zweifel. Das können Sie, liebe Leserinnen und Leser, bestimmt leicht nachvollziehen.

Das «neue» Bewusstsein der Allverbundenheit.

Die grossen Weisheitstraditionen der Welt machen uns seit Jahrtausenden, viele Mystiker verschiedener Religionen seit Jahrhunderten, und Exponenten der Naturwissenschaften wie Albert Einstein und einzelne Vordenker der menschlichen Entwicklungsgeschichte wie Jean Gebser und Ken Wilber seit Dutzenden von Jahren, sie alle machen uns darauf aufmerksam, dass die ursprüngliche Natur unseres Seins nicht die Getrenntheit, sondern die Allverbundenheit resp. die Ganzheit ist. Gebser war der erste Europäer, der das Bewusstsein, das dieser Erkenntnis zugrunde liegt, integrales Bewusstsein nannte. Menschen mit integralem Bewusstsein erfahren, dass sie als Wahrnehmende mit dem Wahrgenommenen verbunden sind. Als Beobachter, besser als Wahrnehmender bin ich mit dem was ich sehe verbunden. Das Wahrgenommene ist ein Teil von mir. Ich erfahre mich als wahrnehmendes Bewusstsein und als solches ist mir klar, dass alles was ich wahrnehme ein Teil von mir ist. Das Wahrnehmen und das Wahrgenommene sind nicht zwei (nondual). Ich beobachte die Natur, einen Fluss, einen Baum, ein Reh im Wald oder einen Spatz auf dem Fensterbrett und weiss ohne Zweifel, das sind Teile von mir. Diese Erkenntnis verändert mein ganzes Verhalten. Ich werde doch mit der Natur, dem Fluss, dem Baum oder dem Spatz viel achtsamer umgehen, weil ich weiss, dass ich mir selbst schaden würde, würde ich grob oder unachtsam mit dem Wahrgenommenen umgehen. Das ist es, wenn integrale Politiker*innen von einem «neuen» Bewusstsein reden. Das Bewusstsein, dass alles mit allem verbunden ist, hat zur Folge, dass wir mit andern Menschen und der ganzen Erde, mit dem Leben überhaupt liebevoller, ja mit Ehrfurcht umgehen.
Integral bewusste Mitmenschen bemühen sich um die Verschiebung ihrer Identität vom «Ich» des Alltagsbewusstseins zum «Wahren Selbst» des Bewusstseins der Allverbundenheit. Und die Integrale Politik bemüht sich, dieses neue Bewusstsein in die Gesellschaft und in die Politik zu tragen.

Gary Zemp
Im Oktober 2020

3 Antworten

  1. Zur Verbindung von integralem Bewusstsein und Politik: Der integrale Philosoph Steve McIntosh meint, dass mit dem Aufkommen einer integralen Weltsicht eine Weltföderation realistisch und sogar unausweichlich wird. Dazu gibt es konkrete Vorstösse aus der Schweiz: SP-Ständerat Daniel Jositsch fordert eine UNO-Volkskammer. Der Ständerat befürwortet das Anliegen, der Bundesrat erarbeitet einen Bericht.

    1. Lieber Daniel, ich glaube auch, dass eine Weltföderation eine Notwendigkeit ist. Ich wusste aber gar nicht, dass bereits erste Bemühungen zu einer solchen Realisierung stattfinden. Ich wäre Dir sehr dankbar, wenn Du uns an dieser Stelle weiterhin darüber berichten würdest, zum Beispiel, sobald der Bundesrat seinen diesbezüglichen Bericht veröffentlicht.

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